Bayern-Lese

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Johann Joachim Winckelmann im Kreise der Gelehrten

Klaus-Werner Haupt

1. Theobald Reinhold Anton Freiherr von Oer – ein talentierter Maler und herausragender Illustrator des 19. Jahrhunderts

2. Winckelmann im Kreise der Gelehrten in der Nöthnitzer Bibliothek – eine szenische Darstellung zu Theobald von Oers Historiengemälde

3. Johann Joachim Winckelmann als Wegbereiter der Weimarer Klassik

ISBN: 978-3-86397-096-3

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Otto Friedrich Ludwig von Wittelsbach

Otto Friedrich Ludwig von Wittelsbach

Klaus-Werner Haupt

Der bayerische Prinz Otto

Am 12. September 1810 wurde die französische Verwaltung des Landes Salzburg aufgelöst, der bayerische Kronprinz Ludwig (1786–1868) wurde Generalgouverneur des Inn- und Salzachkreises. Er und seine Gemahlin Therese (1792–1854), geborene Prinzessin von Sachsen-Hildburghausen, residierten in der barocken Schlossanlage Mirabell, wo am 1. Juni 1815 ihr zweiter Sohn Otto geboren wurde.

Nachdem Salzburg 1816 wieder an Österreich gefallen war, residierte das Kronprinzenpaar überwiegend in Würzburg (Unterfranken). Dort genossen Otto und seine Geschwister Maximilian (1811–1864), Mathilde (1813–1862) und Luitpold (1821–1912) ein umfangreiches Unterrichtspensum: von 7 bis 9 Uhr Latein, von 9 bis 10 im Wechsel Klavier- oder Reitunterricht, von 10 bis 11 Religion, von 11 bis 12 Schreibunterricht. Pause bis halb 3. Anschließend Französisch, Deutsch und Rechnen – bis abends halb 6 … Mit acht Jahren wurde Otto zum Oberstleutnant eines Infanterie-Regimentes ernannt. Am 1. Juni 1832 – im Alter von siebzehn Jahren – erfuhr der junge Prinz von seiner Bestimmung zum König von Griechenland.

Historischer Hintergrund war die Befreiung der Griechen von der osmanischen Fremdherrschaft. Nachdem der erste Präsident Ioannis Kapodistrias (1776–1831) ermordet worden war, drohte das junge Griechenland in Chaos und Bürgerkrieg zu versinken. Auf der Londoner Konferenz vom 7. Mai 1832 beschlossen die Signitarmächte Frankreich, Großbritannien und Russland dem Zweitgeborenen Ludwigs (seit 1825 König Ludwig I. von Bayern) die Krone Griechenlands anzutragen.

Abschied am Grenzstein
Abschied am Grenzstein

Zu diesem Anlass sandte die griechische Nationalversammlung drei Deputierte nach München. Ihnen zu Ehren wurde der Beginn der „Wiesn“ auf den 14. Oktober verschoben. Am 20. Oktober 1832 berichteten die Deputierten stolz nach Hause: „Wir erwiderten eine Einladung zu einem besonderen Fest, das Oktoberfest genannt wird. Es wird auf einer ausgedehnten Fläche außerhalb der Stadt abgehalten. Das besagte Fest stellt eine Nachahmung der Olympischen Spiele dar, das heißt also, die hiesigen Veranstaltungen lassen sich auf das alte Griechenland zurückführen.“

Am 6. Dezember 1832 wurde der minderjährige König zunächst offiziell, dann von seiner Familie persönlich verabschiedet. Ludwig I. begleitete Otto auf den ersten 12 Kilometern, seine Mutter Therese und seine Schwester Mathilde bis zum Markt Aibling, sein älterer Bruder Maximilian über die Landesgrenze. Drei Monumente erinnern an dieses Ereignis: Im heutigen Ottobrunn, wo Otto von seinem Vater verabschiedet wurde, steht eine zehn Meter hohe antikisierende (dorische) Säule. Sie trägt die Büste des jungen Wittelsbachers. Davor wacht der bayerische Löwe, seinen Blick nach Griechenland gerichtet. 40 Kilometer weiter – im heutigen Bad Aibling – wird an den Abschied Ottos von seiner Mutter Therese erinnert. Da die Spendenbereitschaft der Bevölkerung alle Erwartungen übertraf, konnte statt eines schlichten Gedenksteins ein neugotisches Monument errichtet werden. Der Blick der Madonna geht hinüber ins Inntal.

Gästetafel im Hotel Elephant zu Brixen ( c ) Hotel Elephant
Gästetafel im Hotel Elephant zu Brixen ( c ) Hotel Elephant

Nochmals 40 Kilometer weiter verläuft die Landesgrenze. Einer Anekdote zufolge hatte Otto den Grenzübertritt von Bayern (Kiefersfelden) nach Österreich (Kufstein) in der Kutsche verschlafen. Am nächsten Morgen kehrte er noch einmal zurück, um sich von seinem weiß-blauen Vaterland zu verabschieden. Die neugotische König-Otto-Kapelle symbolisiert die Stelle, an der Otto das Königreich Bayern am 7. Dezember 1832 verließ.

Der junge König machte auf dem 1 200 Kilometer langen Weg zum Hafen von Brindisi (Apulien) mehrfach Station. In Brixen (ital. Bressanone) wurden er und seine Entourage in dem für seinen außergewöhnlichen Komfort und seine auffällige Fassadengestaltung bekannten Hotel Elephant beherbergt. Die Gästetafel verweist auf den Aufenthalt des Königs Otto von Griechenland in den Jahren 1832 und 1834. https://www.hotelelephant.com/

Leo von Klenze, Ansicht der Akropolis und des Areopag, 1846
Leo von Klenze, Ansicht der Akropolis und des Areopag, 1846

Längere Aufenthalte waren für Florenz (drei Tage), Rom (acht Tage) und Neapel vorgesehen. In Brindisi schiffte sich der König auf einer britischen Fregatte ein, Ziel war die provisorische Hauptstadt Nauplia (griech. Nafplio). In Korfu stieß er auf das übrige bayerische Corps, das den Weg über Triest genommen hatte. Am 30. Januar 1833 erreichten 43 Schiffe den Hafen von Nauplia, am 6. Februar wurde König Otto I. und weiteren 3 500 Bayern dort ein festlicher Empfang bereitet.

800.000 griechische Untertanen warteten darauf, dass ihnen der König zu Glück und Wohlstand verhilft. Da Otto I. noch nicht volljährig war, wurden die ersten zwei Jahre von einer bayerischen Regentschaft begleitet. Als deren Präsident fungierte Josef Ludwig Graf von Armansperg (1787–1853). Angesichts leerer Staatskassen, einer maroden Wirtschaft und horrender Arbeitslosenzahlen war Optimismus damals so nötig wie heute. Die Troika Großbritannien, Frankreich und Russland bürgte für drei Anleihen zu je 20 Millionen Gulden (10 Gulden = 21 Francs oder 17 Mark). Weil die von vorn bis hinten nicht reichten, sah sich der bayerische König Ludwig I. in der Pflicht, immer neue Darlehen zu gewähren. Zumindest diese Anleihen konnten während der folgenden vier Jahrzehnte zurückgezahlt werden.

1834 wurde die Hauptstadt des Königreiches nach Athen verlegt. Als Liebhaber der Antike setzte sich König Ludwig I. für den Erhalt der griechischen Originale auf der Akropolis ein. Der neuzeitliche Schutt sollte entsorgt und neben den antiken Bauten eine moderne Palastanlage errichtet werden. Der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm (1796–1861), der mit Ludwigs Halbschwester Elisabeth Ludovika (1801–1873) verheiratet war, fertigte einen fantasievollen Entwurf und schickte damit seinen Hofarchitekten Karl Friedrich Schinkel (1781–1841) ins Rennen. Schinkel perfektionierte die Pläne: Über allem sollte das Standbild der Athena Promachos, der „in vorderer Reihe mit dem Speer Kämpfenden“, ragen. Als Zweiter entwarf der Münchner Stararchitekt Leo von Klenze (1784–1864) einen idealisierten Palast.

Am 12. Juli 1834 reiste Klenze allein, aber mit beiden Plänen nach Athen. König Otto hielt zuerst Schinkels Pläne in Händen – und war begeistert. Angesichts leerer Kassen musste er jedoch einsehen, dass das „feenhafte Projekt“ nicht realisierbar sei. Leider dachte niemand nicht daran, Schinkel von der Absage in Kenntnis zu setzen. Weil auch Klenzes Entwurf abgelehnt wurde, blieb die Akropolis von Neubauten verschont. 1986 wurde die Athener Oberstadt (5. Jh. v. Chr.) mit Erechtheion, Niketempel, Propyläen und Parthenon-Tempel zum Weltkulturerbe erklärt.

Anfang März des Jahres 1836 erreichte der Orientreisende Hermann Fürst von Pückler-Muskau (1785– 1871) Athen, die neue alte Hauptstadt: „Ein Viertel antik, ein anderes türkisch, eins neugriechisch und das letzte baierisch ...“ Am 8. März wurde der Fürst mit einer Audienz bei Seiner Majestät König Otto I. beehrt. „Ich hatte noch nicht das Glück gehabt, ihm zu nahen,“ schreibt Pückler, „und fand in dem Beherrscher Griechenlands einen schön gewachsenen jungen Mann von einnehmenden Zügen und gewinnendem Benehmen. Im Verlaufe der Unterhaltung verriet er nicht selten die von seinem erlauchten Vater ererbte Liebe zur Kunst. - Die Griechen würden ihn vergöttern, legte er die deutsche Tracht ab und nähme die Nationalkleidung an.“

Am dritten Abend traf der Fürst auf den König von Bayern. Pückler hatte Ludwig zuletzt als Kronprinzen gesehen und bekundete seine Freude, ihm ausgerechnet hier – unter den Säulen des Parthenon – wiederzubegegnen; ganz Europa widerhalle von seinem kunstsinnigen Wirken. Schmeichelnd verglich er Ludwig mit 'Perikles (um 490–429 v. Chr.), dem kunstsinnigen griechischen Staatsmann und Feldherrn. Dabei kam das Gespräch auf die Akropolis-Pläne Schinkels. Wie beiläufig erwähnte Ludwig I., dass die schöne Idee „wegen Unausführbarkeit“ abgelehnt worden sei … So war es Pückler, der Schinkel mit zweijähriger Verspätung über die Absage informierte.

Am 1. Juni 1835 wurde Otto I. volljährig. Hatte sein Vater München zum Athen an der Isar gemacht, wollte er aus Athen ein zweites München machen. Im Stile des Klassizismus entstanden die Universität, mehrere Akademien, die Nationalbibliothek und das Königsschloss (heute Sitz des griechischen Parlamentes).

König Otto I. in griechischer Tracht
König Otto I. in griechischer Tracht

1836 begab sich Otto I. auf dem bekannten Weg nach München und von dort zur Kur ins böhmische Franzensbad. Bei dieser Gelegenheit wurde ihm die Prinzessin Amalie von Oldenburg (1818–1875), seine künftige Gemahlin, vorgestellt. Über Dresden, Leipzig, Berlin und Potsdam reiste der Bräutigam weiter ins Großherzogtum Oldenburg. Am 22. November fand dort die Hochzeit des katholischen Königs Otto mit der protestantischen Prinzessin Amalie statt. Am 15. Februar 1837 zog das Königspaar in Griechenland ein. Beide bereisten ihr Land und erlernten die Sprache ihrer Untertanen. Aber der Frieden täuschte.

Otto I. herrschte lediglich „von Gottes Gnaden“. Weil er die Konversion zum orthodoxen Glauben ablehnte, verweigerte ihm der Metropolit Salbung und Krönung. Mit unpopulären Vorschriften sowie dem Auflösen von Klöstern brachte Otto I. viele Untertanen gegen sich auf. So wurde es als Strafe Gottes angesehen, dass dem Königspaar Nachkommen versagt blieben. Überdies fühlten sich die griechischen Intellektuellen von der „Bavarokratia“ benachteiligt: Alle lukrativen Ämter waren mit bayerischen Beamten besetzt worden. Die vom König eingeführte Kunstsprache Katharevousa – „die reine Sprache“ – behinderte die Kommunikation mit der überwiegend analphabetischen Bevölkerung.

Am 3. September 1843 kam es zur Revolte. Otto I. stimmte einer konstitutionellen Monarchie zu und schickte seine Truppen nach Hause. Wie Fürst Pückler es vorhergesehen hatte: Die einheimische Tracht stiftete Frieden. Der König trug nun die Fustanella, einen baumwollenen Männerrock, dessen 400 Falten 400 Jahre osmanische Fremdherrschaft symbolisierten. So blieb Otto I. der Hoffnungsträger der Griechen …

Um außenpolitisch erfolgreich zu sein, musste der König türkisch besetzte Gebiete zurückgewinnen. Dafür hoffte er auf die Unterstützung des russischen Zaren. 1853 griff Nikolaus I. (1796–1855) das Osmanische Reich an. Großbritannien und Frankreich stellten sich auf die Seite der Türken. Im Krimkrieg – dem ersten modernen Krieg der Geschichte – erlitt Russland eine Niederlage. Weil Otto I. auf die russische Karte gesetzt hatte, galt er als nicht mehr zuverlässig. Für den Fall seiner Abdankung versprach Großbritannien, die Ionischen Inseln an Griechenland abzutreten. Am 10. Oktober 1862 stürmte griechisches Militär das Königsschloss und erklärte den König für abgesetzt. Am 23. Oktober brachte ein britisches Kriegsschiff ihn und den gesamten Hofstaat außer Landes. Im folgenden Jahr zog ein junger Prinz aus dem Hause Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg als König Georg I. (1845–1913) in Athen ein. Wie versprochen wurden die sieben Ionischen Inseln mit Griechenland vereinigt. Eine 2014 in Umlauf gebrachte 2-Euro-Münze erinnert an jenes Ereignis.

Die Flüchtlinge Amalie und Otto fanden Asyl auf der barocken Akropolis von Bamberg (Oberfranken). Der ganze Hofstaat kleidete und verständigte sich griechisch. Eines Tages zurückkehren zu können, blieb ein Traum. Otto I. starb am 26. Juli 1867 in Bamberg, Amalie folgte ihm acht Jahre später. Die Sarkophage der beiden befinden sich in der Münchner Theatinerkirche. Einen Kilometer entfernt, am Königsplatz, erinnern die Propyläen an die Befreiung Griechenlands.

Bis heute finden sich in Griechenland zahlreiche Spuren der bayerischen Regentschaft. 1994 wurde in Nauplia ein überlebensgroßes Denkmal eingeweiht. Immerhin hatte Otto I. den griechischen Staat gegründet und die Grundlagen für das neue Griechenland gelegt: Verwaltung und Rechtsprechung, Gesundheits- und Bildungswesen, Industrie und Bankwesen. Anders als oft vermutet geht die blau-weiße griechische Nationalflagge nicht auf die bayerische Regentschaft zurück. Bereits 1822 war entschieden worden, die Farbe Blau für das Meer und den Himmel, Weiß für die Reinheit des Unabhängigkeitskampfes zu verwenden. Das Kreuz steht für die orthodoxe Kirche. Das Blau variierte häufig. Während Ottos Regentschaft wurde ein mittleres Blau mit dem Wappen der Wittelsbacher verwendet. Erst 1970 wurde die Streifenflagge zur Nationalflagge Griechenlands erklärt.

Abbildungsverzeichnis:

( 1 ) Joseph Karl Stieler, König Otto I. von Griechenland ( c ) Otto-König-von-Griechenland-Museum in Ottobrunn

( 2 ) Otto verabschiedet sich von seinem Vaterland ( c ) Otto-König-von-Griechenland-Museum in Ottobrunn

( 3 ) Gästetafel im Hotel Elephant zu Brixen ( c ) Hotel Elephant

( 4 ) Leo von Klenze, Ansicht der Akropolis und des Areopag 1846. Neue Pinakothek München

( 5 ) Gottlieb Bodmer, König Otto vor griechischen Ruinen ( c ) Otto-König-von-Griechenland-Museum in Ottobrunn

Quellen:

Heiss, Hans: Der Weg des Elephanten. Geschichte eines großen Gasthofs seit 1551. Folio Verlag Bozen Wien 2002

Haupt, Klaus-Werner: Okzident & Orient. Die Faszination des Orients im langen 19. Jahrhundert. Weimarer Verlagsgesellschaft in der Verlagshaus Römerweg GmbH Wiesbaden 2015

Murken, Jan: König Otto von Griechenland Museum der Gemeinde Ottobrunn. Deutscher Kunstverlag Berlin München 2016

Murken, Prof. Dr. Jan (Gründer des Otto-König-von-Griechenland-Museums in Ottobrunn): Vortrag zum 150. Todestag des Königs Otto am 26. Juli 2017 in der Theatinerkirche bzw. in der Salvatorkirche München

Regensburger Zeitung Nr. 293 vom 8. Dezember 1832, gedruckt und verlegt von Friedrich Heinrich Neubauer

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