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Ein Buch, das zu Herzen geht

Klinikclown Knuddel erinnert an die vielen Kindern und Jugendlichen, die er begleiten durfte, und in seinen Geschichten lässt er ihr Wesen und ihre Persönlichkeit nochmals aufleben. Geschichten über die Liebe und einen Clown im Sterbezimmer.

Kaspar Hauser

Kaspar Hauser

Ulrike Unger

Der geheimnisvolle Findling von Nürnberg

 Kaspar Hauser
Kaspar Hauser

Am Pfingstmontag des Jahres 1828 taucht auf dem Nürnberger Unschlittplatz ein 16-jähriger Junge auf, der einen wankenden Gang hat, vor lauten Geräuschen zusammenzuckt und sich nur mühsam artikulieren kann. In einer Hand trägt er einen Zettel, der ihn als Findelkind ausweist. Man bringt ihn auf die Polizeiwache, wo er in krakeligen Buchstaben seinen Namen aufschreibt: Kaspar Hauser.

Das Interesse am Mythos Kaspar Hauser ist seither ungebrochen. Ein aus dem Weg geschaffter Erbprinz des Badischen Hofes soll er sein, sagen die einen. Ein pfiffiger Betrüger, die anderen. Kaspar Hauser wird mit seinem plötzlichen Erscheinen und der rätselhaften Geschichte, die ihn umgibt, schnell zur Attraktion. Die ganze Gesellschaft stürzt sich neugierig und voller Schaulust auf ihn. Jeden der ihn sehen will, lässt man vor. Vor wenigen Jahren erst hatte das Wolfskind Victor von Aveyron Frankreich in helle Aufregung versetzt. Ohne menschliche Kultur und Sozialisation war Victor in den Wäldern Südfrankreichs aufgewachsen. Das ungeheure Interesse am Menschen in seinem Naturzustand traf einen Nerv der Zeit - unter anderem der Philosoph Jean-Jacques Rousseau hatte sich mit der exotischen, aber verklärten Vorstellung des „Edlen Wilden" beschäftigt. Im Zuge der Aufklärung und neuer pädagogischer und anthropologischer Fragestellungen wollte man den Menschen in seinem Urzustand erkunden und herausfinden, was ihn als Menschen ausmache.

Der Bürgermeister von Nürnberg, Jakob Friedrich Binder, kann Hauser die Geschichte entlocken, nach der er soweit seine Erinnerungen reichen, in einem dunklen Verlies bei Wasser und Brot und ohne die Möglichkeit zur freien Bewegung oder menschlichen Kontakt gelebt habe. Als Kasper in die Obhut des Gymnasiallehrers Georg Friedrich Daumer gegeben wird, lernt er jedoch erstaunlich schnell das Lesen, Schreiben und Rechnen. Besonders deutlich werden seine musischen und zeichnerischen Begabungen. Daumer ist von seinem neuen Schützling zunächst so angetan, dass er sogar homöopathische und esoterische Experimente an ihm durchführt, die ihn zu der Erkenntnis kommen lassen, Kaspar sei in besonderem Maße sensitiv und geprägt von hervorzuhebenden Eigenschaften. 

Am 17. Oktober 1829 wird Hauser Opfer eines ersten vermeintlichen Attentats, das ihn mit leichten Schnittverletzungen an der Stirn davon kommen lässt. Diese Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer und nährt die Theorie, Hauser sei der 1812 geborene Erbprinz von Baden, den man aufgrund der Begünstigung einer Nebenlinie in einer Intrige vom Hof geschafft, daraufhin eingesperrt und seiner Mutter, Großherzogin Stéphanie, stattdessen einen sterbenskranken Säugling untergeschoben habe. Aber warum hat man den mutmaßlichen Prinzen dann nicht sofort getötet und stattdessen jahrelang gefüttert und bewacht? Und warum kann sich Kaspar so detailgenau an das Aussehen seines Angreifers erinnern, obwohl der Keller, in dem der Vorfall geschah, sehr schlecht beleuchtet war und der Angriff nur kurz dauerte? Warum überhaupt floh Kaspar in den Keller und nicht in die bewohnten oberen Räume des Hauses? Warum trug er keinerlei ernsthafte körperliche und seelische Störungen davon, obwohl er viele Jahre unter widrigsten Umständen gelebt haben will? Schwerste Deformationen der Gliedmaßen, massive Vitaminmangelerkrankungen und massive mentale und emotionale Beeinträchtigungen hätten die Folgen seiner Haft sein müssen.

Denkmal am Ort des angeblichen Attentats im Ansbacher Hofgarten.
Denkmal am Ort des angeblichen Attentats im Ansbacher Hofgarten.

Der Trubel um den Findeljungen und die Gerüchte von seiner adligen Herkunft rufen nun auch den Juristen Anselm von Feuerbach auf den Plan, der überprüfen soll, was an den Berichten Kaspar Hausers und den Vermutungen, die im Volk grassieren, dran ist. Feuerbach stützt vorerst die Erbprinzentheorie, sieht dann aber doch von einer Veröffentlichung seiner „Recherchen" ab. Vielleicht kommt auch in ihm das Gefühl auf, Hauser sei ein Hochstapler.

Auf Vorschlag von Feuerbachs wird Kaspar Hauser nach Ansbach zur Familie des strengen Lehrers Johann Georg Meyer verbracht. Er bekommt hier Zugang zu den besten Gesellschaftskreisen, sein Verhältnis zu Meyer ist aber stets angespannt.

Am 14. Dezember 1833 kehrt Kaspar mit einer Stichverletzung nach Hause zurück. Er erzählt, ein Unbekannter habe sich mit ihm im Ansbacher Hofgarten getroffen und ihn dann niedergestochen. Vorher habe er ihm noch aus einem lila Damentäschchen einen Zettel in Spiegelschrift überreicht, mit Andeutungen zur Herkunft Hausers. Drei Tage darauf stirbt Kaspar Hauser an den Folgen seiner Verletzung. Bis zuletzt sind sich das eingeschaltete Gericht und die Mediziner, die Hausers Leiche obduzieren nicht sicher, ob es sich bei dem Überfall um eine Selbstverletzung oder doch um ein Attentat handelt.

Kaspar Hausers Grabstein fasst in lateinischen Worten sein Leben kurz und treffend als „Rätsel seiner Zeit" zusammen.

Mittlerweile ist der Fall Kaspar Hauser von seriösen Wissenschaftlern als Betrug entlarvt. Der Faszination um die Legende vom Findelkind mit dem hochherrschaftlichen Geheimnis tut dies allerdings noch lange keinen Abbruch.

 

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Quellen:
• http://www.welt.de/kultur/history/article11072984/Das-schaurige-Geheimnis-des-Kaspar-Hauser.html
• http://www.sueddeutsche.de/panorama/mythos-kaspar-hauser-neue-geschichten-aus-der-gruft-1.1450850
• http://www.zeit.de/wissen/geschichte/2012-04/kaspar-hauser/komplettansicht

 Bildquellen:

Johann Georg Laminit (1775-1848) - Johannes Mayer, Peter Tradowsky: Kaspar Hauser, Stuttgart 1984, p. 306, gemeinfrei 

Anselm von Feuerbach: zeitweise Vertreter der Erbprinzentheorie, Obervormund und Gönner Kaspar Hausers, gemeinfrei 

Denkmal am Ort des angeblichen Attentats im Ansbacher Hofgarten. Urheber: Christoph Guenther. Hochgeladen von: Maksim. Via Wikimedia CommonsCC BY-SA 3.0

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